Schau mal an: Laut einer aktuellen Online-Umfrage des Marktforschungsunternehmens YouGov sind mehr als 50 Prozent der Deutschen für Tempo 30 in den Innenstädten. Das sitzt erstmal, oder? Aber wie so oft lohnt sich auch beim Thema „Tempo 30 innerhalb geschlossener Ortschaften“ ein zweiter Blick.
Bereits 2012 kündigten die Grünen gemeinsam mit der SPD an, im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit in allen Städten zu machen. So weit kam es nie: CDU, CSU und SPD verständigten sich auf eine Koalitionsregierung. Die Grünen hatten empfindlich an Stimmen verloren und schauten in die Röhre. Eine weitere Bundestagswahl steht im September an. Und nachdem die Grünen zwischenzeitlich ziemlich gehyped wurden, ist das „Thema Tempo 30“ plötzlich auch wieder up-to-date.
Tempo 30 im Wahlprogramm der Grünen
Im vorläufigen Wahlprogramm formulieren die Grünen unmissverständlich: „Um mehr Sicherheit auf den Straßen zu erreichen, wollen wir in geschlossenen Ortschaften das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren. Tempo 30 ist dann die Regel, Abweichungen wie Tempo 50 werden vor Ort ausgewiesen.“ Auch auf Kommunal-/Landesebene ist Tempo 30 inzwischen wieder ein Thema. Im NRW-Landtag etwa fordern die Grünen Unterstützung vom Land NRW: „Es solle sich in Absprache mit dem Bund dafür einsetzen, dass Kommunen in Modellversuchen wie in Aachen oder Bonn ein grundsätzliches Tempo 30 verhängen können.“ Immerhin: Hauptverkehrsstraßen sollen davon ausgenommen sein.
Umweltschutz und mehr Sicherheit auf den Straßen sind sicherlich immer Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt. Doch wie sinnvoll ist ein generelles Tempolimit von 30 km/h eigentlich?
In seiner Broschüre „Tempo 30 – Pro & Contra“ hat der ADAC Fakten und Argumente gesammelt. Das Fazit des Automobilclubs: Tempo-30-Zonen haben sich in Wohngebieten bewährt. „Auch die Anordnung von Tempo 30 vor Schulen oder Kindergärten im Zuge von Hauptverkehrsstraßen kann eine sinnvolle Maßnahme sein.“
Tempo 30 und Sicherheit
Doch eins nach dem anderen. Schauen wir uns zunächst den Aspekt Sicherheit an: Bei Tempo 30 reduziert sich der Anhalteweg bei Bremsmanövern natürlich deutlich. „Durch eine verringerte Aufprallgeschwindigkeit kann im Fall einer Kollision die Unfallschwere gemildert werden“, ist der ADAC überzeugt. „Aus Gründen der Verkehrssicherheit ist Tempo 30 in Wohngebieten grundsätzlich sinnvoll.“ Dahingehend gibt es wohl kaum zwei Meinungen.
Tempo 30 und Umweltfreundlichkeit
Ganz anders sieht es beim Thema Umweltfreundlichkeit aus. Denn es gibt kaum aussagekräftige Untersuchungen zur Situation der Luftschadstoffe. Vor allem sind die Ergebnisse meist nicht vergleichbar. Es gibt bekanntermaßen Studien, bei denen sind die gemessenen Emissionen in Tempo-30-Zonen – anders als erwartet – höher als in Tempo-50-Zonen. Das liegt insbesondere an den oftmals kaum vergleichbaren und nicht selten dann doch etwas komplexeren Situationen und Rahmenbedingungen vor Ort.
So hat etwa die Ampeldichte und ihre Koordination einen Einfluss auf Emissionen, wie der ADAC ausführt. „Eine Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h führt auf Hauptverkehrsstraßen mit gut koordinierten Lichtsignalanlagen sogar zu einer Erhöhung der Emissionen.“
Tempo 30 und Fahrzeit
Klar sein dürfte: Durch eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h insbesondere auf den Hauptverkehrsadern des innerstädtischen Straßennetzes werden sich die Reisezeiten erheblich verlängern. Vor allem „zu verkehrsarmen Zeiten, wie sonn-, feiertags und auch nachts“, wie der ADAC befürchtet. Ein weiteres Problem laut ADAC: Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen führe zu erhöhtem Ausweichverkehr mit unerwünschten Folgewirkungen.
Wer sich die Argumente von Befürwortern und Gegnern des flächendeckenden 30er-Limits innerorts anhört und überdies den gesunden Menschenverstand bemüht, kommt kaum an dieser einen Frage vorbei: Gewinnen wir wirklich mit einer allgemein geltenden Höchstgeschwindigkeit bzw. einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h? Ein Blick könnte ins europäische Ausland lohnen: Im Mai 2021 führte Spanien Tempo 30 in allen Städten ein, in Brüssel gilt seit Jahresbeginn Tempo 30. Für eine Bilanz ist es in beiden Ländern allerdings noch zu früh.
Kommen wir zu der eingangs erwähnten Mehrheit zurück, die sich für Tempo 30 in Innenstädten ausspricht. Was sich im ersten Moment so klar liest, ist es auf den zweiten Blick gar nicht. So sind es unter den Befürwortern nämlich nur 23,5 Prozent, die sich flächendeckende und dauerhafte Geschwindigkeitsbeschränkung vorstellen können. Etwas mehr als 19 Prozent sind für ein zeitlich beschränktes Tempolimit und die Mehrheit (23,6 Prozent) ist lediglich für örtliche Limits.